Früh aufstehen und raus in die Natur

1. Mai 2020

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Wie immer am 1. Mai beginnt bei uns die Jagdsaison. Daran ändert auch Corona nichts. Naja -so ganz stimmt das nicht. Im Gegensatz zu den sonstigen Jahren waren heute morgen doch einige Dinge anders als sonst.

Heute sind wir alle getrennt in den Wald gefahren, kein Treffen vor und auch nicht nach der Jagd. Kein gemeinsames Frühstück wie wir das all die Jahre immer gerne getan haben.Alles sehr distanziert, kontrolliert und auch ein wenig lustlos. Es werden auch wieder andere Zeiten kommen, das ist die Hoffnung die bleibt.

Meditation im Hochsitz

Als ich also um 5.00 Uhr auf meinem kleinen Hochsitz saß, und ich in die Dämmerung horchte, kam mir ein Buch in den Sinn das ich schon vor langer Zeit gelesen habe. Das Buch heißt "Meditationen über die Jagd" von Josè Ortega y Gasset. Ein relativ altes Buch, es wurde in den 1940er Jahren in Madrid verfasst. Und so begannen meine "Meditationen" beim betrachten der Baumwipfel über mir im Dunkel der Nacht.

Die Vögel begannen nach und nach mit ihrem Morgenkonzert. Sie bildeten die Hintergrundmusik für meine Gedanken. Ortega y Gasset prägte den Satz:

"Man jagt nicht um zu töten, sondern man tötet um gejagt zu haben. Die Tötung des Tieres ist der natürliche Abschluß der Jagd, sie verleiht dem Jagdvorgang Wirklichkeit."

Das sehen viele Völker und Stämme der Erde vermutlich genau so oder so ähnlich. Und viele verbinden mit der Jagd eine Teilhabe an etwas Göttlichem, Transzendenten. Viele indigene Völker bedanken sich nach der erfolgreichen Jagd beim erlegten Tier für das Opfer das es gebracht hat. Die Jäger sind nach der Erlegung aus dem mystischen Erleben wieder in der Wirklichkeit angekommen. Ich mache mir seit ich jage immer Gedanken um die Jagd. Themen wie Ethik und Moral, Tierschutz und Fleischjagd beschäftigen mich ständig.

Auch ich bedanke mich nach der erfolgreichen Jagd bei dem erlegten Tier mit einer überlieferten "Zeremonie" eines Stammes der native americans. Das Erleben, mit möglichst vielen Sinnen, steht für mich bei der Jagd immer an absolut erster Stelle. Etwaige Trophäen usw spielen bei mir nur eine untergeordnete Rolle, was im übrigen für viele meiner Jagdfreunde gilt. Und auch wenn ich nichts geschossen habe, was an sehr vielen Jagdtagen vorkommt, habe ich doch immer das Gefühl gejagt und gelebt zu haben. Da gehen die Meinungen von Ortega y Gasset und mir auseinander.

Mittlerweile ist eine Stunde vergangen. Eine Stunde, die mir nicht so lange vorkam. Es gibt eben immer etwas zu sehen und zu hören wenn man sich draußen in der Natur aufhält. Ich würde es fast als einen glücklichen Moment bezeichen. Auch zum Thema Glück weiß der Buchautor etwas zu sagen. Er bezieht sich dabei auf Aristoteles,dem der Satz:

"Menschliche Glückseligkeit besteht in erfolgreichem handeln"

zugeschrieben wird. Nach y Gasset besteht

"Glück immer in einem Tun, in einer Energie oder Anstrengung".

Hier gehe ich mit dem Autor konform, weil auch ich glaube, dass man Glück nicht geschenkt bekommt. Man muss sich anstrengen, Ausdauer, Mut und Kraft an den Tag legen. Bei der Jagd und im "normalen" Leben.

Die Faszination der kleinen Dinge

Wieder war eine Stunde vergangen. Es zeigte sich kein einziges bejagbares Tier. Ein Eichhörnchen und ein Schwarzspecht trugen zu meiner Belustigung bei. Auch der eine oder andere kleinere Singvogel zeigte sich um gleich wieder davonzufliegen.Und als ich darüber nachdachte was dieser Morgen gefühlsmäßig mit mir machte kam mir ein weiteres Buch in den Sinn, das für mich wie die Faust aufs Auge zu passen schien. Das Buch trägt den Titel " Lebendigkeit, eine erotische Ökologie" von Andreas Weber. Einige Ansätze seien hier kurz dargestellt. Wie lassen wir uns von der Welt berühren, und wie berühren wir sie? Mangelt es bei uns statt an genügend Geld vielleicht an Liebe. Liebe zwischen Menschen. Liebe aber auch an kleinen Dingen. An Dingen, Tieren und Pflanzen die wir mit unserem Tunnelblick gar nicht mehr registrieren? Wie zum Beispiel an den kleinen Vögeln oder den zarten, blühenden Walderdbeeren? Diese fand ich als ich mich nach drei Stunden wieder auf den Heimweg machte.

Und auf dem Weg zum Auto, noch immer teilweise in meinen Gedanken versunken, fiel mir auf, wie schön (hell)grün auf einmal der Wald war. Wie übrigens jedes Jahr. Zumindest soweit ich mich erinnern kann. Und daran wird auch Corona nichts ändern. Grün ist die Farbe der Hoffnung.