23. Mai 2020
Bei einem verregneten Tag wie dem heutigen erinnert man sich gerne an die Sonne. Oder an Sonnenaufgänge. Ob wir sie am Meer oder in den Bergen erlebt haben, immer sind wir davon fasziniert. Man kann sie auch in heimischen Gefilden erleben, und sie sind nicht weniger schön. Aber lest selbst....
Nichts und niemand existiert getrennt voneinander.
Ein Zitat von Willigis Jäger, Benediktiner-Mönch und Zen-Meister. Er verstarb am 20.März 2020 im Alter von 95 Jahren.
Mit diesem Zitat lassen sich viele Dinge oder Beziehungen im Leben erkennen. Kein Gut ohne Böse. Keine Kälte ohne Hitze. Und eben auch kein Hell ohne Dunkel. Manchmal ist es gut wenn man sich das ins Bewusstsein ruft. Und eben auch, dass wir mit allem in Beziehung stehen. Ob es uns manchmal gefällt oder nicht.
Thomas von Aquin brachte das mit einem Ausspruch ganz gut auf den Punkt.
Der Urgrund alles Schönen besteht in einem gewissen Einklang der Gegensätze.
Bevor es aber gar zu philosophisch wird nun zu der kurzen, aber für mich, und damit hoffentlich auch für euch, schönen Geschichte die weniger spektakulär aber doch nachdenkenswert erscheint.
Jule und der Sonnenaufgang
Meine Tochter hat mit mir bzw. mit der Familie schon ein paar schöne Sonnenaufgänge erleben können. Ob es zu Rainers Geburtstag am Strand von Numana war oder der Sonnenaufgang auf dem Petz, als wir einen Tag vorher mit mehreren befreundeten Familien zum Schlernhaus gewandert sind und dort übernachteten. Immer war das etwas schönes und besonderes. Nur daheim, in "Kuppene", da hat sie das noch nie erlebt. und das wollte sie ändern. Also der klare Auftrag, naja,es war eher eine nette Bitte das zusammen zu machen. Freitag morgen, kurz vor 5.00 Uhr klingelt der Wecker. Anziehen, frisch machen. Ein Espresso im Stehen.Und auf geht es: RAUS IN DIE NATUR. Kurz, und nicht allzu beschwerlich war unser Weg. Wir gingen schweigend die Stadtwaldstraße hinauf. Kurz vor der Madonna stellten wir unsere mitgebrachten Klappstühle auf. Den Blick gerichtet auf den Eichelberg. Oder "Mount Eichelberg" wie ich ihn gerne nenne, hab die Bezeichnung von einem leider schon verstorbenen Jagdfreund übernommen. Um 5.36 Uhr soll sie erscheinen, auf 57,05 Grad Ost. Das sah genau so aus:

Leicht am linken oberen Rand des Eichelberges ist die Sonne schon zu erahnen. Wir warteten voller Anspannung, mit einer musikalischen Hintergrundmusik die es nur in der Natur gibt. Ein regelrechtes Vogelkonzert machte uns gelegentlich fast sprachlos. Wir hörten bereits lange bevor die Sonne aufging sogar drei Pirole, aus unterschiedlichen Richtungen. Wenn man sie auch selten zu Gesicht bekommt, gehört hat man sie sehr gut. Die nächtliche Stille wurde schon lange vor Tagesanbruch durchbrochen um den Tag entsprechend anzukündigen.

Da - mit einem Mal kam sie über den Berg. Natürlich lautlos. Wir haben uns gefragt, was wohl geschehen würde, wenn die Sonne mit einem lauten Rumpler über den Berg kommen würde, Ob die Vögel aufhören würden zu singen?
Eine Welt wird geboren
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Mein Schwarzwald-Guide-Kollege Harald Holzmann hat das für mich sehr schön auf den Punkt gebracht. Er schrieb mir letzthin als er mir von einer seiner frühen Touren im Wald berichtete unter anderem folgenden Satz. Und dieser Satz hat mich berührt und beschäftigt mich seitdem.
Eine Geburt der Welt, die jeden Tag stattfindet.
Ist es nicht tatsächlich so? Eine Geburt die jeden Tag stattfindet, Tag um Tag, Jahr um Jahr. Sie war vor mir und wird immer noch sein wenn ich schon längst nicht mehr bin. Es funktioniert völlig automatisch, ohne dass wir es beeinflussen können. Was natürlich auch gut ist. Und ich glaube, wenn einem das klar wird kann man beruhigt in die Zukunft blicken. Es gibt Konstanten in unserem Leben. Das ändert auch kein Virus und auch kein noch so großer (zumindest glaubt er das von sich) Politiker auf der anderen Seite der Erde. Wer ein wenig was über das Leben und Beziehungen erfahren will sollte sich den Film "Interstellar" anschauen. Mit einer Musik die der wirklich großartige Hans Zimmer geschrieben hat. Der soundtrack begleitet mich heute Abend beim Schreiben dieses Textes.
Farbtupfer am Wegesrand
Auf unserem Weg nach Hause kamen wir am jüdischen Friedhof vorbei. Und dort oben, wo der Weg Richtung Amtmannberg einmündet, entdeckten wir sie. Sie standen im bräunlichen, älteren Gras und machten diesen Morgen noch schöner wie er ohnehin schon war. Es waren zwei Mohnblumen, mit ihrer feuerroten Farbenpracht.

Und auch dazu hat "mein" Christian Morgenstern ein, wie ich finde, schönes Gedicht verfasst.
Lied der Sonne
Ich bin die Mutter Sonne und trage, die Erde bei Nacht, die Erde bei Tage.
Ich halte sie fest und strahle sie an, dass alles auf ihr wachsen kann.
Stein und Blume, Mensch und Tier, alles empfängt sein Licht von mir.
Tu auf dein Herz wie ein Becherlein, denn ich will leuchten auch dort hinein.
Tu auf dein Herzlein, liebes Kind, dass wir ein Licht zusammen sind.
Am Abend machte ich noch einen kleinen Spaziergang und als ich fast wieder daheim war machte ich folgendes Foto. Der Tageskreis hat sich geschlossen. Und morgen früh wird die Welt wieder geboren - versprochen!
